Letzten Freitag

Einen Post über ein Novemberwochenende in Paris hätte es heute hier geben sollen. Was bleibt, ist ein Klos im Hals und unendliche Traurigkeit.
Voller Vorfreude und ganz aufgeregt sind wir letzten Freitag Nachmittag gestartet. Ein Wochenende zu zweit. Jahre ist es her, seit dem letzten, langen Ausflug ohne Kind. Im Zug noch etwas lesen, und dann im "Le Café Moderne" schön essen gehen. Einmal nicht auf die Uhr schauen müssen. Das war der Plan an diesem Freitag.
Höflich wurde uns der Mantel abgenommen und ein Tisch für uns ausgesucht - als im Stadion die erste Bombe losging. Über die Gewürzrichtichtungen der Marinade des Täubchens, und über die Konsistenz der mit Zitronen marinierten Rande, müssen wir uns unterhalten haben, als drei Strassen weiter geschossen wurde. Die Pariser unterhalten sich wärend des Essens gerne Laut und leidenschaftlich an grossen Tischen. Kaum jemand checkt während des Essens die News auf dem Smartphone.
 Erst im Nachhinein wird uns bewusst, dass das Personal nervös war, als sie uns den Käse servierten. Sie müssen inzwischen von den Anschlägen Wind bekommen haben. Während man uns zuvorkommend zur Garderobe begleitet, riet man uns, schnell Nachhause zu gehen - was wir mit einem mulmigen Gefühl auch taten. Erst im Hotel verstanden wir, dass es wirklich Ernst gewesen war. Die ganze Tragweite begriffen wir dann Tage danach. Aus der Distanz ist es immer leichter.

Nach den Ereignissen erschien es uns falsch zu bleiben, wir wollten das Trauern nicht stören. Später dachten wir uns: Vielleicht hätten wir doch bleiben sollen, hätten Kerzen anzünden und Blumen niederlegen sollen? Es hätte uns vielleicht gut getan...? Bleiben aus Solarität oder gehen aus Respekt?
Das war vor sechs Tagen und noch immer sind wir irgend wie verstört. Hier Zuhause versuchen wir den ganz normalen Alltag zu leben. Es würde mir gut tun, mehr darüber zu reden, zu erzählen, aber die Gefühle sind so gemischt, dass sie sich nicht in Worte fassen lassen. Die Meinungen der Zuhörer sind zum teil so kontrovers, dass manche Gespräche eher noch mehr verstören.
In Paris konnte ich mich so unglaublich cool gegeben. Gleichzeitig konnte ich die Entäuschung über das verdorbene Wochenende  (und ich schämte mich gleichzeitig dafür) doch nicht ganz verstecken.

Was bleibt ist die Desorientierung,  seit Tagen diese Endlos-Schlaufe in meinem Kopf: Live Bilder, die wir in der Nacht im Hotelzimmer am Fernseher mitverfolgt haben....dazwischen immer wieder die chinesische Reisegruppe, die gut gelaunt und lautstark am Tag danach an der Oper vobei spazierte. Und auch das Brautpaar auf der Champs Élysée energisch seinen Platzt vor der Foto-Kulisse verteidigte... Endlos-Schlaufe.
Am liebsten möchten ich die News und die Gewalt jetzt nicht mehr sehen. Genug von den Bildern und den Augenzeugenberichten.

Die Adventszeit beginnt bald, vielleicht werden wir unser Christliches Fest noch mehr geniessen, weil es uns Heimat giebt. Vielleicht wird Paris für uns doch bald wieder nebensächlich werden?
Die Mächtigen dieser Welt sollen sich drum kümmern. Diese rühren die Kriegsttrommel - damit wir uns nicht Hilflos fühlen.

Ich bin in einer Welt aufgewachsen wo Krieg über alles verabscheut wurde. Wir verehrten Gandi und Martin Luther King. Wurde uns nicht eingehämmert, dass Gewalt immer Gegengewalt provoziert? Noch ein Slogan, den wir als Kind als ungerecht empfanden und ihn dennoch gegenüber unseren Kindern tagtäglich wieder neu, ja gebetsmühlenartig wiederholen : "Es spielt keine Rolle, wer angefangen hat. Wichtig ist, wer als erstes aufhören kann"...

Es ist mir bewusst, dass die Geschichte mit dem IS eine lange, komplizierte und blutige ist, und dass es keine einfachen Lösungen gibt.das war mir auch schon vor Paris bewusst. Die ganze Welt ist darin verwickelt und alle profitieren vom Handel mit günstigem, auf dem Schwarzmarkt verscherbelten Öl. "Mach mit, flieh oder stirb". Menschen in den besetzten Gebieten haben meist keine wirkliche Wahl.

Das Volk, hier bei uns, ruft nach schnellen und einfachen Lösungen: Die Grenzen sollen geschlossen und der Feind eliminiert werden.
So einfach wird es aber wohl nicht sein.
Ich hoffe, wir haben dennoch den Mut über vieles schonungslos nachzudenken. Wir sollten nicht feige sein, die Zusammenhänge nicht so sehen zu wollen, wie sie sind.
Gerade jetzt , wo wir Angst haben, ist es wichtig besonnen zu sein. Damit wir nicht noch mehr Menschen zu Monstern machen, weil sie denken es gäbe keine andere Tragfähige Weltanschauung, als ihre brutale Ideologie. Wir sollten uns der Welt gegenüber wie verandwortungsvolle Eltern verhalten, uns im differenzierten, freien und schonungslosen Denken üben - und einander wirklich zuhören.


Mara- Tiziana










Kommentare

  1. Maria-Tiziana, ich hab deinen Beitrag langsam und intensiv gelesen. Ich weiß genau was du meinst. Ich weiß auch nicht, ob ich geblieben wäre. Manchmal weigere ich mich, die Nachrichten zu sehen, denn sie sind immer nur negativ. Und wenn man nur das Schlechte in sein Leben läßt, wird man krank, finde ich. Drum freue ich mich über jeden Sonnenstrahl und jedes Kinderlachen, dass mich glücklich macht. Tu das auch.

    Sigrun

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  2. Ich hab Dein Post nicht nur einmal gelesen.
    Ich fühle mit Dir mit. Endlich so ein Wochenende und dann endet es mitten in einem schrecklichen Geschehen.
    Das tut mir leid, ich ahne wie wichtig und wundervoll es für Euch hätte sein können.
    Ich hab keine Ahnung wie es mir gegangen wäre plötzlich mittendrin zu sein. Es muss sich schlimm anfühlen. Du schaust aber dann auf all die Menschen, machst Dir so viele Gedanken wie es anderen nun geht. Du hast es so geschrieben, wie ich es auch fühle. Die Ursachen von all dem. Das ist unsere aller Verantwortung!
    Ich weiss, dass wir "Kleinen" nicht "schuld" haben, aber ich nun wird immer klarer, dass es die gesamte Lebens-und Wirtschaftssituation ist. Und da sind wir alle ein Stück mit dabei. Die schnelle, einfach Lösung gibt es nicht mehr, hat es vielleicht nie gegeben.
    Die Terrornacht von Paris darf nicht nebensächlich werden. Aber es muss auch hingeschaut werden was in der Heimat der Flüchtlinge passiert. Es sind immerwieder ähnliche oder noch schlimmere Taten. An den Menschen, die dort ihr zu Hause haben/hatten.
    Ich hoffe auch sehr, dass die Adventzeit gut tut. Wir brauchen das, ja, es ist auch für mich eine innere Heimat.
    So ein Post wie der von Dir ist auch ein Stück das gesagt werden muss. Nicht schweigen. Wir dürfen nicht wegschauen. wir müssen im Kleinen etwas ändern.
    Ich wünsche Euch Eltern trotz allem immerwieder Stunden für Euch. Passt auf Euch auf, es ist so wichtig.
    herzliche Grüsse
    Elisabeth

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  3. Ein schöner Post über das Wochenende in Paris hätte es werden sollen, was bleibt ist ein feines Essen und ein Scherbenhaufen. Ich bin einfach nur froh, dass ihr heil davongekommen seid!
    Lg Carmen

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